Diese große digitale Gruppenreise

Was für ein Zeitgewinn, wenn man ein für #Clubhouse zu altes Handy hat. Aber natürlich auch: Was für eine Gefahr, mit einem Post nun völlig neben den ‚aktuellen Themen‘ zu liegen. Aber no risk no life, außerdem ist es in den ‚anderen‘ sozialen Medien momentan so angenehm ruhig, da kann ich entspannt veröffentlichen, was mir so durch den Kopf geht, während ich versäume, über was ein Teil der digitalen Welt gerade so plaudert. Denn so oder so, hier oder dort – ist alles #Digitalkultur.

Während ich also die letzten Slides für meinen Workshop zu digitalen Workshops morgen finalisiere, frag ich mich mal wieder, was da aktuell los ist, vor allem bei der #Kultur von #Digitalkultur. Und beobachte, was es mit mir macht.

Mein Workshopauftrag für morgen ist, für OrganisatorInnen und ModeratorInnen von Bildungs- und Gremienarbeit, „nur“ die organisatorischen, technischen und konzeptionellen Grundlagen zum Abhalten von Online-Treffen zu behandeln. Ich kann also mühelos von Internetanschluss, Setup, Technik, Licht und Ton über Struktur, Ablaufkonzept bis zu TeilnehmerInnenmanagement, Moderation, Interaktion und Dokumentation springen und damit mehrere Stunden füllen.

Aber das ist nur ein kleiner Teil dessen, was passiert. Bei jedem Zusammentreffen von Menschen – ist ja völlig egal, ob physisch oder virtuell – geht es um soviel mehr. Um mehr als um gute Orga, guten Empfang und einen kuratierten Schreibtischhintergrund. Es geht um Beziehungsarbeit, eine Kultur des Miteinander, die wir in dieser Dichte und Häufigkeit im Digitalen gerade noch ‚relativ‘ frisch üben und erproben. Bei der noch nicht alles festgeschrieben ist. Zum Glück. Hoffentlich. Ich hab jedenfalls größten Spaß daran, dass ich einen Raum zur Gestaltung empfinde, ich Wirksamkeit spüre – wie man so schön sagt.

Für meine Workshops in und für die digitale Welt nutze ich das Bild der Gruppenreise, das Gemeinsamunterwegssein. Das liegt auf der Hand, es gibt massig Parallelen bei Wahl von Ziel und Strecke, der Mitreisenden, der Fortbewegungsmittel, der Ausstattung, der Unterkunft, der Verpflegung. Auf Reisen muss man öfter mal umgestalten – Wetter schlecht, Hotel ausgebucht, Strecke gesperrt, Ausrüstung mangelhaft. Da wird die Kunst der Improvisation und schnellen Anpassung zum Garant eines schönen Erlebnisses. So hier. Ob als ReiseführerIn, -begleiterIn oder -teilnehmerIn.

Daher gibt es im Workshop ungefragt immer einen Exkurs zur Frage des digitalen Miteinanders. Was bewirke ich, womit wirke ich als digitale Gastgeberin? Welchen Raum, welche Atmosphäre erzeuge ich, welche Haltung nehme ich ein – was ‚kultiviert sich‘, was kultiviere ich in einem Onlinetreffen?

Mein Verhalten prägt das digitale Erleben der Gruppe, wir erzeugen gemeinsam die #Digitalkultur des Moments, am idealsten so, wie wir sie gerade brauchen. Ich muss keine neue App bauen, keine neue Plattform kreieren, um im digitalen Raum wirkmächtig zu sein. Ich muss auch nicht bei jeder App dabei sein, jeden Kanal nutzen. Ich kann erstmal einfach genau den Raum kuratieren, der mich betrifft und ihn so gestalten, dass er für mich gut ist. Manchmal wird es dann auch für andere besser.

Das ‚digital gemeinsam‘ (er)leben, sprechen, arbeiten, lachen, lernen, ist immer noch dabei, erschaffen und verhandelt zu werden. Also zumindest ich empfinde es bzw. möchte es als noch nicht gesetzt, nicht als fertig empfinden. Ich bin dankbar, aktiv mitgestalten zu können und möchte nicht müde werden, das Gestaltete auch immer wieder in Frage zu stellen, denn da geht mehr. Privat und im Arbeitskontext – wird ja nun bei noch mehr Menschen im Übergang fließend. Das geht vom Umfang der Teilhabe (also wieviele Geräte, Apps, Plattformen nutze ich in welcher Intensität) bis zur Art meiner Teilhabe (konsumiere ich, kommuniziere ich, kreiere ich).

Viele Freunde und KollegInnen erzählen mir seit Monaten, wie anstrengend sie das viele Digitale finden, wie ermüdend digitale Treffen, wie zeitraubend. Ich frage mich (und sie) genauso lange, ob sie diese digitalen Begegnungen nicht anders gestalten könnten. Ob sie nicht Feedback zu ihrem Zustand geben, mit der Gruppe gemeinsam in Frage stellen könnten, ob Form und Inhalt der Treffen sinnvoll gewählt sind, ob man sich nicht überlegen, könnte, was allen eher gut täte. Meist hätte man diese Fragen seit Jahren schon im Analogen stellen müssen – viele Treffen momentan sind ins Digitale manövrierte Erben einer dysfunktionalen Meetingkultur. Das war vorher schon anstrengend, doch man hatte sich bereits dran gewöhnt, es einkalkuliert. Aber ist es nicht großartig und der idealste Zeitpunkt, diese ‚Kultur‘ nun zu zerschlagen zugunsten einer menschenwürdigeren, und zusammen Funktionaleres, Passenderes auszuprobieren? Die Gelegenheit ist günstig wie nie, sich einzuschreiben in diesen Diskurs. Scheitern war selten so integriert in unser tägliches Leben und das Ausprobieren ist momentan (immer noch) unser bester Joker! Und er ist frei zugänglich.

Ich muss also keineswegs traurig sein, dass ich nicht bei #Clubhouse* bin, muss noch nicht mal über vermeintlich elitäre Zusammenkünfte diskutieren – Ausgrenzung wird immer ein Teil von sozialem Leben sein, Gruppenbildung wird es immer geben in Gesellschaften, das brauchen wir, das kann nützlich sein, identitätsstiftend, es reduziert Komplexität, erleichtert Gemeinschaft. Und das digitale Leben findet ja schließlich nicht nur in ein paar Apps statt.

Digital kann so viel partizipativer, inklusiver, demokratischer und fairer sein. Mischen wir also umsomehr da mit, wozu wir Zugang haben, gestalten wir da mit, wo es uns betrifft. Ein paar eingefahrene Gewohnheiten mussten wir in den vergangenen Monaten loslassen – das ist doch eine fantastische Möglichkeit, jetzt mal ein Verhalten einzuüben, was allen besser tut. Jammern wir nicht über digitale Müdigkeit, leben wir digitale Mündigkeit. Kreieren wir uns Digitalität, die energetisiert. Kultivieren wir stärker unsere jeweiligen Teilmengen, beobachten wir, was uns stärkt, reflektieren wir, welche Haltung wir einnehmen.

Ich will jedenfalls mehr (digitale) Nähe, mehr (digitale) Zugewandtheit, mehr (digitales) Miteinander. Sagt mir mein Gefühl und genau das will ich nicht (wieder) auf der Strecke lassen. Das mit dem gut Funktionieren und high Performen haben wir doch lange genug gemacht, wir könnten jetzt das mit dem angenehmen Miteinander mal so richtig machen. Auch dank und wegen des Verschwimmenden zwischen privat und Arbeit.

Vielleicht kann uns dieses Übergleiten dabei helfen. Vielleicht kann der ‚privatere Dresscode‘ ein nahbareres Verhalten ermöglichen, kann sich die Vorgesetzte dank nicht funktionierender Technik auch mal Schwäche erlauben, der aufstrebende Kollege via durchs Bild laufender Kinder und Katzen seine Verletzlichkeit offenbaren. Vielleicht könnten wir unseren Onlinetreffen diesen Raum geben, Unsicherheit und Unperfektion reinlassen, könnten zulassen und anerkennen, dass wir die Anderen brauchen, könnten zugeben, dass wir ohne körperliches Empfinden unsicherer sind über unsere Wirkung bei anderen, eben weil wir andere nicht so mühelos einschätzen und lesen können wie wenn wir uns gegenüber stehen. Könnten gemeinsam überlegen, was uns gut tut, was unsere Mühe verringert und uns ein gutes Erlebnis beschert. Unser Zugehörigkeitsgefühl in einer funktionierenden Gemeinschaft stärken, statt uns gegenseitig das Dazugehören schwer zu machen.

Ich übe jedenfalls weiter, diese Unsicherheit nicht zu überspielen, sondern sie als Teil des Meetings anzuerkennen, werde in Workshops weiter ermuntern, genau das nicht zu perfektionieren. Besser die Energie in eine gute Internetverbindung stecken als in das Ignorieren von Impuls und Intuition. Auf dass das neue ‚business as usual‘ mehr ‚acting together‘ wird, wir uns neue Routinen antrainieren, die uns allen besser tun.

Mehr Wertschätzung, mehr Augenhöhe, einfach mal die Ks anders verteilen. Kultur statt Karriere und Konkurrenz, #konstruktiv #kreativ #kollektiv #kollaborativ #kooperativ #kommunikativ.

Gedanken nach einer Woche Digitalem und Leben, vom Club Matryoshka, Minecraftwelten, CTM-Festival-Panels mit Chatgelagen auf Signal, über Familytreffen auf Jitsi, digitalem Live-Theater mit Goethes Werther und langen Telefonaten zu überforderten Teens zwischen WhatsApp, TikTok und Homeschooling, bis zu Kundenmeetings auf Zoom, Online-Arbeit mit optimistischen LehrerInnen, Live-Spaziergängen mit desillusionierten Eltern über idyllische Kiez-Friedhöfe … und nebenbei die eigene Routine am Laufen halten, Beziehung, Arbeit, Essen, Mindset. Wird viel verhandelt gerade.**

Und ich hab noch nicht mal Kinder.


*Clubhouse ist eine Audio-App, in der die TeilnehmerInnen (die nur über persönliche Einladung Zugang zur App erhalten) in ‚Räumen‘, die jede/r mit einem Thema öffnen kann, miteinander sprechen, aber auch nur zuhören können. Eine Talkrunden-App sozusagen, in der ich bei der ModeratorIn einen Redebeitrag anmelden kann, ‚auf die Bühne geholt‘ werden kann. Der Reiz ist, mit allen in Kontakt gehen zu können, niederschwellig, ich kann allen einfach folgen, mit Promis und EntscheidungsträgerInnen im gleichen Raum sein und diskutieren. Dieses Miteinander in völlig neu zusammengewürfelten Gruppen, das hohe Gesprächsniveau und die gute Moderationsqualität in vielen Angeboten ist begeisternd, das Suchtpotential bei Vielen hoch, auch deshalb, weil durch die Abwesenheit von Bildübertragung ich im Bad und im Bett einfach immer und überall mitlauschen kann. Dass es auch ein mächtiges (Selbst-)Marketing-Tool ist, wird in Zukunft nicht zu übersehen/hören sein.

Faszinierend: Einerseits ist die App hochdemokratisch und partizipativ, ich bin wichtigen EntscheiderInnen, PolitikerInnen auf eine (zumindest momentan noch) geradezu intime Art nahe, da die Gesprächsrunden so spontan und ohne lang ausgeheckte Agenda wirken und es Verbundenheit erzeugt – andererseits ist es ausgrenzend und referenziert als Bubble ’nur‘ auf sich selbst. Aber auch: wie im richtigen Leben eben.

**Mein Freund ist drin im Clubhaus – sehr spannend, wie seitdem auch unser akustischer Raum im Homeoffice-Living-Sleeping verhandelt wird / werden muss. (Sidenote: ich bin schon immer ’stimmempfindlich‘, werde seit Jahren generell geräuschempfindlicher, hilft gar nicht im Lockdown in einer Wohnung ohne Türen, schwanke bei der Selbstdiagnose noch, irgendwas zwischen Hyperakusis und Misophonie.)