Anerkennung und Austausch

Immer noch und immer wieder denke ich über eine andere Form des Arbeitens nach. Die von Frithjof Bergmann formulierte „New Work“ im Sinne der Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe (in diesem Beitrag ausführlicher) – und zwar als neues Gesellschaftsmodell, nicht als langatmig implementierte Konzernstrategie oder kurzfristiges Startup-Phänomen – ermöglicht einen freieren Umgang mit unserem Tun und Wirken.

Doch damit verändern sich auch Bewertungskriterien, ein lange eingeübtes System von Leistung und Anerkennung kommt ins Wanken, Karriereschritte sind nicht mehr linear. Das birgt für den Einen Chancen, schafft beim Anderen Unsicherheit. Auf jeden Fall werde ich verstärkt „angeregt“, meinen Selbstwert zu prüfen (zu dem Thema gibt es hier mehr).

Jeder Mensch ist einzigartig und genau richtig so, wie er ist. Klingt schön, ist auch so, aber erleben wir an uns selbst oft nicht ganz so selbstverständlich. Doch erst auf dieser Grundannahme ist es möglich, uns von äußerer Bewertung weitgehend unabhängig zu machen und unsere Fähigkeiten zu entfalten, herauszufinden, was wir ‚wirklich wirklich wollen‘ (Frithjof Bergmann), wo wir agieren, wie wir leben, wofür wir uns einsetzen möchten. Auf dieser Grundlage sind Individualität und Vielfalt möglich.

Doch in unserer Einzigartigkeit sind wir nicht automatisch auch autonom. Also unabhängig von einem Außen, von Feedback – vor allem nicht von Anerkennung. Viele, die sich mit dem bedingungslosen Grundeinkommen beschäftigen, haben längst erkannt, dass die auf uns zukommende Herausforderung nur zum Teil die monetäre Umverteilung ist. Die viel elementarere Frage wird sein, wie ich mich als wertvoller Teil der Gesellschaft wahrnehmen werde, wenn ich keine „zugeteilte Aufgabe“ erfüllen kann/darf, auf welchem Wege ich Anerkennung und Austausch erfahre, um mich eingebunden und zugehörig zu fühlen – Grundbedürfnisse unseres Menschseins, als soziales Wesen.

„Der Verlust einer Aufgabe, die zum Gemeinwesen beiträgt, kann wirkmächtiger sein als ökonomische Knappheit.“ Das schreibt mir aus der Seele Luca Caracciolo, Chefredakteur des t3n Magazins.

Anerkennung – geht das auch alleine?

Nachdem man in den meisten Jobs von Menschen umringt ist, für die Anerkennung im Außen und von außen völlig normal ist, die sich nach einer entsprechenden Bewertungsskala ausrichten und dieser Mechanismus zu großen Teilen unser Karrieremaschine antreibt, kommt man nicht so schnell drauf, auszuprobieren, ob eine Autonomie, eine Selbstversorgung, die eigene Anerkennung des eigenen Tuns eine ‚gesündere‘ und womöglich nachhaltigere wäre.

Doch wie übt man das, wie probier ich das aus? Wie komm ich raus aus dieser Abhängigkeit von außen, wenn es nicht nur anerzogen, gewohnt und einstudiert ist, sondern auch unsere relevanten Umwelten komplett durchzogen sind von Belohnungsstrategien, die uns ordentlich im Loop halten. Nicht nur Arbeitsleistung, auch Produkte und Konsum, alles was uns weiterkommen lässt, hält an Leistungsparadigmen und entsprechenden Skalen zur Bewertung fest. Jeder Award, jede Förderung, jede Zuwendung ordnet sich in getane Arbeit, gezeigter Leistung ein.

Dabei erhöht es meinen Selbstwert enorm, wenn ich in der Lage bin, in Autonomie und eigenverantwortlich zu handeln. Ich muss mir nur meine Wirksamkeit bewusst machen. Dazu gehört, dass ich erkenne, was mir wichtig ist, danach handle und mir dadurch Befriedigung verschaffe. Wenn ich in dieser Abfolge von Wunsch/Aufgabe und folgender Erfüllung agiere, kann ich dies auch erkennen, an-erkennen. Dann gelingt ein selbsterfülltes und zufriedenes Leben.

Aber bei aller Autonomie, die daraus erwächst – wir sind erstens unterschiedlich bedürftige Wesen, die zweitens bei aller Selbstversorgung meist erst so richtig aufblühen, wenn sie sich gegenseitig befruchten können. Bildanalogie Ende.

Austausch ist befruchtend

Wozu brauchen wir den zwischenmenschlichen Austausch? Zu was dient das von mir erzählen und den anderen zuhören? Dem Einsortieren, auch dem Vergleichen, aber vor allem dem Vergewissern, dass ich dazu gehöre (oder der Erkenntnis, dass ich mir eine andere Bezugsgruppe suchen sollte ;/). Uns treibt ein steter Wunsch nach Zugehörigkeit. Warum? Weil es Sicherheit bietet. Weil es Fragen und Entscheidungen verringert, Komplexität reduziert. Weil es Verlässlichkeit bietet und Vertrauen. Weil es beruhigt.

Ich kann mich Verschiedenem zugehörig fühlen – Interessen, Orten, Menschen, Gruppen –, die wiederum verschieden große Radien abbilden können. Ich kann mich als Deutsche dem Land zugehörig fühlen, brauche aber im Alltag einen spezifischeren Bezugsrahmen, um diesem Begriff eine Erlebbarkeit, eine Identität zu geben. Ich kann sonst aus dem Gefühl kein Handeln ableiten, weshalb es dann früher oder später keine Relevanz in meinem Alltag haben wird. Wenn mein Bezugsrahmen mein Gefühl und meine Überzeugung nicht ausreichend abbildet, werde ich mir – Beispiel Deutschland – entweder eine andere Kleingruppe suchen oder, wenn ich über Jahre keine finde, das Land verlassen oder versuchen, eine Gruppe aufzubauen, die meiner Überzeugung entspricht.

Wenn Komplexität reduziert wird, werde ich entspannter, kann Vertrauen haben, fühle mich sicher. Das wiederum setzt Energie frei, ich kann kreativ sein, produktiv sein, ich kann mich um andere und anderes kümmern. Das wiederum bedient meinen Wunsch, als soziales Wesen zu handeln. Was Befriedigung bringt, mir also Frieden gibt. (Sidenote: leider ist ein befriedigter Mensch nicht automatisch friedvoll, was ich eine sehr frustrierende Erkenntnis finde. Ich wünschte, die deutsche Sprache wäre bei diesem Begriff verlässlicher.)

Und dennoch: Autonomie ist einfach praktisch

Ich strebe jedenfalls weiterhin nach größtmöglicher Autonomie, auch wenn (und weil) ich mich häufig hinsichtlich Anerkennung als außerst bedürftig erlebe. Ich gehe meinen Mitmenschen einfach am wenigsten auf die Nerven, wenn ich in aller Ruhe meinem eigenen Wertekanon folge – ich bin dann am friedlichsten.

Lasst uns also einen Award ausrufen für Menschen, die nicht nach unserem Lob lechzen, die ohne Aussicht auf Belohnung agieren, die autonom sind in ihrem Energiehaushalt, die resilient sind, intrinsisch handeln und deren Handlungsmaxime dennoch und umsomehr im Einklang mit Gemeinschaft und Solidarität stehen. Word.

Ach, gibt’s schon, stimmt, Friedensnobelpreis. Na, dann den halt in ganz leise.