Forschungsreise durch Europa: Wie geht das neue Arbeiten wirklich? Was macht ‚New Work‘ mit uns, wer oder was gestaltet die Zukunft unseres Arbeitens?
Wie bewahre ich Selbstbestimmung, wie wichtig ist Sinnhaftigkeit, wodurch entsteht gesellschaftliche Eingebundenheit? Wie definiere ich Tun, was nenne ich Arbeit? Was macht die Entkopplung von Lohn und Leistung mit unseren gesellschaftlichen Bewertungskriterien?*
Wie begegne ich dem Optimierungswahn? Wie halte ich meine Grenzen ein? Welchen Stellenwert haben Ort und Beziehung? Wie entsteht Vertrauen, was erzeugt Verlässlichkeit, ab wann entsteht Abhängigkeit? Wie präzise sind unsere Begriffe für die Welt der Tätigkeiten? Was heißt eigentlich: Arbeit, Leistung, Anerkennung.
Puh, viele Fragen, die ich mir während meiner Reisejahre stellte und stelle. Und das sind noch nicht alle.
Wie achte ich in Selbstständigkeit auf Selbstfürsorge, wie funktioniert Anerkennung, Bewertung und Austausch? Welche Rolle spielt finanzielles Feedback, wie sichere ich materielles Auskommen?
Was ist New an dieser Work?
Da kann man sehr lang herumforschen, wird man nie fertig – aber ein paar Erfahrungen konnte ich sammeln. Doch wo kommt dieser – recht unterschiedlich und meist unpräzise genutze – Begriff „New Work“ überhaupt her?
„Erfunden“ hat ihn der in Sachsen geborene, in Österreich aufgewachsene und bereits mit 19 nach Amerika ausgewanderte Sozialphilosoph Prof. Dr. Frithjof Bergmann. Er war anlässlich des beginnenden Niedergangs der Autoindustrie in Amerika mit der Frage beschäftigt, wie die bald vielen Arbeitslosen zu einer neuen Tätigkeit – und idealerweise zu einer sinnstiftenderen – kommen könnten. Es waren die Achtziger und der Übergang von der von Industrialisierung geprägten Arbeit in eine von Technologie, Automatisierung und Wissen geprägten Zeit kündigte sich an. So fragte er die Menschen damals, denen die Arbeitslosigkeit drohte, was sie „wirklich wirklich wollen“. Das war neu, das war revolutionär, Menschen nach einer nicht-selbstständigen ausführenden Lohnarbeit in eine selbstbestimmte und freie Teilhabe der Gemeinschaft zu überführen. „Da das „Job-System“ an seinem Ende sei, habe die Menschheit die Chance, sich von der Knechtschaft der Lohnarbeit zu befreien“, so Bergmann.
Es ging um ein neues Gesellschaftsmodell
Zentrale Werte der „Neuen Arbeit“ seien Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an Gemeinschaft. Das Modell war also kein neues Konzept für Unternehmen und ihre Mitarbeiterkultur, es ging um etwas viel Größeres, es ging um ein neues Gesellschaftsmodell. Der Psychologe Markus Väth entwickelte Bergmanns Theorie später fort, es lohnt sich, seine Artikel zu lesen, hier oder hier. Zudem gibt es diese umfassende sehr gute Website quasi ‚Bergmanns Erbe‘.
Das Neue und der Wunsch war, dass Arbeit uns nun dienen soll. Sie soll uns freier und selbstbestimmter machen. Daher ist wichtig zu wissen, was ich eigentlich will, damit Arbeit mir tatsächlich dienen kann. Viele leiden unter der „Armut der Begierde, einer geringen Erwartung an Arbeit.“ erkannte Prof. Dr. Frithjof Bergmann. Ein Aushalten der Umstände im Gegensatz zum wirklich wirklich Wollen. Es hat sich seit damals viel verändert in der Arbeitswelt, doch für Viele ist das immer noch so.
Wir sind doch Arbeitnehmer, wieso also nehmen wir uns nichts?
Wieso nehmen wir selbst existierende Freiräume in Beschäftigungsverhältnissen oft nicht wahr, nicht an? Ich bin vielen Menschen in Unternehmen begegnet, dich gar nichts nehmen wollten, die sich lieber Aufgaben geben ließen. Ist das ein Erziehungsfrage? Eine Frage von Mut und Neugier? Eine Frage des Typs? Oder Gewohnheit, Trägheit? Lieber sicher und eingeschränkt, als frei und unabgesichert.
Fakt ist, dass Menschen durch die Umorganisation von Arbeit – nicht nur durch digitale Möglichkeiten, auch durch wissengetriebenere Inhalte und Formen von Arbeit – auch im Angestelltenverhältnis mehr und mehr zu Selbstständigen werden (können/müssen/dürfen). Das neue Arbeiten verlangt damit nach einer ausgeprägte(re)n Bewusstheit über die eigenen Ziele und Sehnsüchte sowie Klarheit bezüglich der eigenen Fähigkeiten und Notwendigkeiten. Ich muss in der Lage sein, meine Grenzen zu erkennen und mein Terrain zu wahren. Doch wie finde ich zu der Kenntnis über mein System, wenn ich nicht gewohnt bin, mich selbst zu reflektieren, mir diese Fragen selbst zu beantworten? Viele Arbeitnehmer überfordert das, womit die vermeintlich neuen Freiheiten und schönen fließenden Handlungsfelder eher mehr Druck verursachen als Freiraum, denn unsere Arbeitsgesellschaft ist schließlich immer noch Leistungsgesellschaft, voller Bewertung und Bewertungsskalen.
Wie also kann mir diese Freiheit dienen?
Gedankenspiel: Wäre ich finanziell unabhängig und müsste nicht „arbeiten“ im Sinne eines Austauschs von Leistung gegen Lohn – was würde ich tun, was wäre mir wichtig? Was würde mich begeistern, befriedigen, beflügeln. Welcher Sehnsucht folgte ich, auf welche Mission würde ich mich begeben. Würde ich nach Entspannung streben oder nach Abenteuer? Würde ich mich zurückziehen oder in die Welt laufen? Würde ich kreativ sein oder faul, Gleichgesinnte suchen oder zur Einsiedlerin werden? Die Antworten auf diese Fragen können je nach Tagesform sehr unterschiedlich ausfallen – eigene Erfahrung 😉 – aber es lohnt sich, dies aufzuschreiben, mitzuschreiben. Denn ich kann damit weitererkunden: Was brauche ich an Sicherheit, was gibt mir Sicherheit? Was brauche ich an Mitstreitern, an Feedback, an Rückhalt. Schnell kann ich dabei ablesen, welche Verhältnisse mir gut tun, welche eben auch nicht. Und sehr wichtig ist, wenn ich mir klar mache, wieviel Anerkennung ich brauche, wobei und von wem ich sie erhalten kann.
Wenn ich mir das immer wieder überlegt, mir notiere, auch die Entwicklung meiner Haltung dazu wahrnehme, kann ich mir mein Terrain erschließen. Ich lote aus, welche Freiheiten ich brauche, wieviel Selbstbestimmung mir wichtig ist. Auch, welchen Stellenwert Sinnhaftigkeit oder gesellschaftliche Eingebundenheit hat. Und ob ich gesellschaftliche Teilhabe überhaupt mit „Arbeit“ verknüpfe oder es lieber als Ehrenamt ausführe, um die Bereiche bewusst zu trennen. Auch das kann ich mir damit definieren: was nenne ich „Tun“ und Engagement, was nenne ich Arbeit?
Fazit: Das neue Arbeiten birgt mehr Möglichkeiten, aber auch neue Aufgaben von Selbstorganisation und Selbstführung für den Arbeitenden. Damit New Work nicht das Synonym für Selbstständigkeit ohne Sicherheit wird, braucht es das Bewusstmachen, die eigene Begleitung und Wahrnehmung dieser Anforderungen, damit es für eine selbstbestimmte Zukunft steht, geprägt von Selbstwirksamkeit, Weiterbildung, Kooperation und Solidarität.