Kistenverfahren, Beistücke, Aktenbock, Gürteltier … hä? Wer jetzt eine spontane vage Assoziation ins Juristische hat, weiß 500 % mehr als wir, als wir den Auftrag annehmen.
Eine Festschrift zu 175 Jahren Berliner Staatsanwaltschaft soll es werden – wegen Corona wurde der für den 1. Oktober geplante große Festakt im imposanten Moabiter Amtsgericht bereits im Frühsommer abgesagt, man schwenkte um auf eine Broschüre mit Grußworten, das interne Orgateam musste von Häppchen auf Seitenumfang umdenken. Dirk wird angefragt, Grafik und Layout zu übernehmen, ich schließe mich ungefragt für Satz und Kommunikation an.
Wir erwarten nicht, künstlerisch-konzeptionelle Höhenflüge unternehmen zu dürfen, als wir uns zu unserem ersten Briefing mit unserer Kontaktperson aufmachen – Grußworte, Festschrift, Behörde, Anwälte, das klingt eher nach Text gefolgt von Text. Aber weit gefehlt. Wir sitzen einer hoch motivierten rheinländischen Staatsanwältin gegenüber, die mit Dirk arbeiten will, weil ihr sein Layout des Gefangenentheaters so gut gefällt, sie Musiker mag und uns ab der ersten Minute blind vertraut, einfach weil sie es beschlossen hat. Wir fragen und fragen und fragen, um einen Hauch einer Idee zu kriegen, um was es sich bei dem Endprodukt bestenfalls handeln könnte, versuchen, das Haus, die Mitarbeitenden, die Historie, die Themen, den Alltag zu verstehen, um die Geschichten rauszukitzeln, das Besondere, die Atmosphäre, und wie sie sich fühlen mag, die Sta-B nach 175 Jahren. Wir erfahren, dass das Miteinander im Mittelpunkt steht, Zusammenhalt und Kollegialität herrscht und dass es eigentlich immer und jeden Tag um den Menschen geht. Und um Gerechtigkeit. Puh. Wie genau stellen wir das dar? Eva fasst ihr Briefing nach 2 Stunden heiteren Austauschs wie folgt zusammen: Hauptsache, ihr macht es bunt! Ok, das kriegen wir hin.
Ab dem Zeitpunkt lernen wir alle viel dazu, Eva, die unerschrockene Staatsanwältin, die diese Festschrift hoch über all ihren Aktenstapeln wuppen muss, lernt über Satzspiegel, Druckbögen, Nutfalz und Papierqualitäten, wir über Aktenknoten und Abtrag, Gittermappen und Geheimgänge bei Rockerprozessen, Asservatenordnung und besonderen Verlobungsringen. Wir erleben offene Gespräche, bekommen große und kleine Anekdoten erzählt und richtig viel Einblick. Und dass am Ende der produktiven Wochen ein Werk exisitiert, mit dem nicht nur die Beteiligten, sondern auch die Mitarbeitenden hoch zufrieden sind, hat genau damit zu tun, nämlich dass wir viel fragen durften, genau hinschauen, persönlich empfinden. Natürlich sind 90% der Antworten nicht in der Broschüre zu sehen oder zu lesen, wir haben ja schließlich nicht die Texte verfasst, aber zu spüren ist es.
Wir sind sehr froh, dass alle glücklich sind und die meisten nicht mit so „was Tollem“ gerechnet haben*. Wir sind dankbar, dass wir Druckerei, Papier und Format bestimmen durften. Wir sind stolz, dass uns die Chefin des Hauses zum Brunch mit dem Orgateam eingeladen hat, um uns persönlich zu danken.
Und ich freu mich, dass ich wieder einmal meinen roten Faden weiterspinnen konnte: Menschen Fragen stellen, um herauszufinden, was sie bewegt, und was sie wirklich wollen. Den Antworten lauschen, um ihnen dienen zu können. Völlig egal, ob es um ein Layout oder um Weiterbildung geht, ob das Produkt am Ende eine Website, eine Broschüre, ein Teamprozess oder ein digitaler Lernworkshop ist. Ich liebe diesen Vorgang!
Und kann dann auch wieder kürzer auf die Frage antworten, was ich eigentlich so mache. Verhedder mich nicht zwischen Weiterbildungsverein, Marketingberatung, Layout und Kommunikationsstrategie, Systemische Organisationsentwicklung und Digitale Bildung, sondern kann einfach sagen: Was ich mache? Beziehungsarbeit.
*Neugierig geworden? Hier gibts das pdf.