Eine Haushaltsauflösung in München

Eins von vielen Schildern unseres Hausflohmarkts

Das war wieder mal ein wilder Ritt in meinem Projekte-Leben … aber diesmal privat. Und mit anderem Thema, weniger Beteiligten, weniger Publikum – doch wieder ohne Pferde und wieder stand Ressourcenschonung an oberster Stelle:

➡️ Wie löse ich den Haushalt – 40 Jahre Leben meiner engagierten und vielseitig interessierten Eltern – in 14 Tagen komplett auf und erzeuge dabei nicht nur so wenig (Sperr-, Textil- und Papier-)Müll wie möglich sondern sorge für eine weitere Verwendung möglichst vieler Dinge?

Der erste Teil der Aufgabe war gesetzt, der zweite Teil selbst definiert und nicht nur als alte Ökotrulla mein erklärtes Ziel, ich wusste, mir wird damit auch der Abschied von Vielem leichter fallen. In hatte zwar nicht mehr an diesem Ort mitgewohnt, dennoch ist es das Ende eines langen Abschnitts Eltern und Familie und damit voller Emotion. 

Auffallend Viele, denen ich von der anstehenden Wohnungsauflösung erzählte, nickten wissend, auch sie haben’s gerade hinter sich oder es steht ihnen bevor. Für Letztere teile ich dies – meine aktuellen Erfahrungen sowie gesammelte Adressen, und zwar für München. Ich mach das ausführlicher als nötig, weil es gerade gut tut, das runterzuschreiben, das zur Vorwarnung. Und für die schnelle Info: die Fakten gibt’s als Liste ganz unten1.

Aufgabe war, aus einer 3-etagigen 140qm Wohnung die Dinge herauszufiltern, die meine Mutter mit an ihren zukünftigen Wohnort nehmen will, ein Zweizimmerappartment mit 41 qm in einem nahegelegenen schönen Wohnstift, das meine Eltern selbst vor Jahren als Alterswohnort ausgewählt hatten. Alles, was nicht mitkann und soll, musste die 140qm verlassen. Denn die (übliche) Vereinbarung mit dem Vermieter war „zur Übergabe besenrein und leer“. Leider obwohl klar war, dass eine Zwischennutzung mit Geflüchteten und/oder StudentInnen-WG bevorstehen wird, also durchaus funktionales und intaktes Grundmobiliar nützlich sein würde für kommende MieterInnen. Das war – zum Glück und Spoiler – das einzige Ärgerliche der gesamten Aktion, dass taugliche Möbel vernichtet werden mussten, die in ihrer Langlebigkeit so nicht mehr hergestellt werden. Dank eines nur zufällig nochmal geführten Telefonats 3 Tage vor Übergabe durfte auf nochmalige Nachfrage die komplette Küche und eine Badausstattung bleiben – immerhin.

Der Entsorger (klingt wertschätzender als Entrümpler), den ich zum Auftakt zur Besichtigung gebeten hatte, um die Kosten zu recherchieren und zudem rauszufinden, ob es ressourcensensible Menschen gibt in der Branche, schätzte in Summe 78 Kubik, die raus müssen. Zudem prognostizierte er, es würde keinerlei Abnehmer geben für das alles – niemand will mehr alte Möbel, Bücher, Kleidung, der Markt sei gesättigt, auch bedürftige Menschen hätten daran kein Interesse. In München schon mal gar nicht, in Berlin sei das ja vielleicht anders. 

Das wollte ich so natürlich nicht hinnehmen, das musste überprüft werden – wissend, dass ich damit einen aufwändigen Prozess starte. Leichter wäre, diesen Dienstleister für pauschale 1500 € jetzt zu beauftragen, die ganze Chose abtransportieren zu lassen und einfach wegzugehen, um das Elend nicht mitanzusehen. Aber wie eingangs erwähnt – das passte nicht zu meiner Idee des Ressourcenerhalts.

Also begann ich – erstmal mit den Möbeln, machte Fotos von allen, erstellte ein pdf mit den Maßen und teilte es im privaten Netzwerk, dann auf der Seite des Münchner Abfallwirtschaftsamtes im Verschenkportal, erstellte ein Profil auf nebenan.de, setzte alles zu Verschenken rein und schrieb die Diakonia, den Weißen Raben, das Stadtteilbürgerbüro sowie Bürgerbüros und Sozialbürgerhäuser im Umkreis mit dem Möbel-pdf an.

Als nächstes widmeten wir (ich war ja zum Glück nicht allein, siehe nächster Absatz) uns den Haushaltsartikeln. Zum großen Glück gab es im Eingangsbereich des Hauses ausreichend Platz, einen Flohmarkt einzurichten. Da landete die folgenden Tage alles, was aus Küche, Schubladen, Kleiderschränken und Bücherregalen aussortiert wurde. Wir drapierten es fotogen auf Tischen, Bänken, Beistellwägen, die Fotos stellten wir mit unseren ab dann täglichen Flohmarktzeiten auf eBay und nebenan.de, erstellten Verschenk-Annoncen für alles, was besondere Aufmerksamkeit verdiente und aktualisierten täglich Bilder und Angebot. Schilder wurden gemalt, Hauseingang und Klingelschild mit Markierungen versehen, damit alles gefunden wird. Zum Grande Finale karrten wir 3 Tage alles auf den Vorplatz ins Freie, dafür war der fehlende Regen und die mega Sommerhitze, die uns beim Räumen an die körperlichen Grenzen brachte, wieder gut.

Zu diesem Marathon noch wichtig zu erwähnen: ich plante zwar alles, führte das Ganze aber natürlich nicht allein durch, das MEGA Team in der Umsetzung waren meine Geschwister, mein Cousin und: unsere Partner!! Leistungsfähig, zuverlässig und unübertroffen nachsichtig (ob meiner Pedanterie) und durchgehend wertschätzend. In der heißen (33 Grad) Phase des Möbeltragens waren wir zu sechst, die Tage davor und danach zu zweit oder dritt.   

Apropos Logistik: Auf der Suche nach Leih-Umzugskisten stolperte ich über Boxie24. Sie vermieten stabile Plastikboxen mit Klappdeckel, die nicht nur praktisch sind und ökologisch sinnvoll, die Boxen werden zudem gebracht + geholt und kosten weniger als ein Pappkarton. Wir hatten 50 Boxen für eine Woche für 69 €.

Und auch das für kleines Geld: bei CarlundCarla mieteten wir einen Transporter, der easy wie Carsharing in der Nachbarschaft zu holen war, 12 Stunden für 49 €. Für den Preis natürlich nur die Minimalversicherung, aber geschmeidig und unaufwändig in der Abwicklung.

Die Orga-, Räume- und Verschenktage nahmen an Fahrt auf und wurden in ihrer Euphorie nur etwas gedämpft, als ich nach und nach von Diakonia, Weißer Rabe und den lokalen Sozialunternehmen Absagen kassierte. Leider bestätigten sie die Aussage des Entsorgers, dass keine Menschen danach suchen, ergo seien sie voll und könnten nichts nehmen. Doch die Euphorie kam zurück, als ich entschied, Kleider und Bücher direkt zu Oxfam-Filialen zu bringen, in denen ich mit großer Herzlichkeit empfangen wurde. Man nahm mir freundlich dankend sämtliche Kleidung ab, nur bei den Büchern war es schwierig, da mein Vater seine unzähligen Bücher „mit Bleistift“ gelesen hat, was leider ein Ausschlusskriterium ist bei Oxfam.

Aber: Wir sind in den 10 Tagen des Dinge-anbietens so absurd viel Geschirr, Töpfe, Besteck, Bilder, Kleinmöbel, Stühle, Koffer, Lampen, Servietten, Tischdecken, Kleinkram und Gedöns losgeworden! Davon auch Einiges, was selbst ich durchaus als ausgedient betrachtet hätte. Unzähliges hat begeisterte neue NutzerInnen gefunden, Spezialitäten wie alte Sägen und halbantike Fahrräder fanden LiebhaberInnen, die uns ihre berührenden Geschichten des Weiterverwendens erzählten.

Bei allem haben wir so unglaublich viel Dank erhalten, freudige Gesichter gesehen, wunderbare Begegnungen und Gespräche gehabt, wurden spontan umarmt (nicht nur von der Oxfam Mitarbeiterin, die mir Kraft für den Prozess wünschte), wurden unzählige Male ungläubig gefragt, ob alles wirklich umsonst sei, wurden mit Geld und Herzlichkeit beschenkt, wir verabschiedeten glückliche Kinder, Mütter, Väter, junge Menschen in neubezogenen Wohnungen, Geflüchtete mit Haushaltsbedarf, die gut versorgt mit unerwartetem Zugewinn abzogen. 

Was ist also das Fazit? Natürlich war es mega anstrengend, alles x-fach in die Hand zu nehmen, diesen vielen Dingen täglich eine weitere Chance zu geben, sie digital und analog immer wieder anzubieten. Und natürlich hat es nicht bei allem geklappt, einige Möbel wie Kleiderschränke und Vitrinen (egal aus welcher Epoche) fanden keine AbnehmerInnen, auch das Klavier konnte nicht verschenkt werden und die Bücher waren einfach zu viel.

Aber: Es hat sich gelohnt. Denn am Schluss hatten auch wir ein Gefühl des totalen Zugewinns – emotional. Mich haben all diese Begegnungen so mit Energie versorgt, dass die 16-Stunden-Tage gut zu verkraften waren, das stete Weiter- und Aussortieren nicht völlig zermürbten. Selbst das Finale mit den äußerst zupackenden Händen der Entsorger, die den Rest für die Müllpresse vorbereiteten, war dann nicht schlimm. Das emotionale Level hat die Materie überholt, obwohl sie echt in der Überzahl war.

Zusammengefasst:
= Ein Hoch auf die Freiberuflichkeit, die es mir ermöglicht, ein derartiges Projekt durchzuziehen.
= Ein Hoch auf die Kommunikation, die zu so viel Kooperation führte.
= Ein Hoch auf die Freundlichkeit, für die sich auch alle Zuständigen bei den Unternehmen früher oder später entschieden. 
= Ein Hoch auf die Herzlichkeit der ehrenamtlichen MitarbeiterInnen der Münchner Oxfam-Filialen.
= Ein Hoch auf die Hartnäckigkeit, mit der ich alle genervt habe, aber ohne die ich meinen Entschluss, nicht gleich alles der Müllpresse zu überlassen, nicht durchgezogen hätte. 
= Ein Hoch auf das Durchhaltevermögen aller, mit dem wir das Ziel erreicht haben.
= Ein Hoch auf meine Familie, die gemeinsam angetreten ist und alles mitgetragen hat.
= Ein Hoch auf Dirk, der mich bei allem gnadenlos unterstützt hat.

Finales Fazit: Was für eine reiche Ernte. 

-> Na, und auch nicht unerheblich: Meine Mutter fühlt sich in der neuen Wohnung zwar noch nicht völlig zuhause, aber wohl und richtig aufgehoben. Und so langsam findet sie auch alles wieder, was ich ihr in die Schränke gepackt habe.

  1. ↩︎

Und hier wie versprochen, in Stichpunkten und ziemlich chronologisch: 

Sharing digital privat
▪ Bilder und Beschreibungen in Chatgruppen teilen (wie zB diese auf Telegram für München)
▪ Story auf Signal oder anderem Messanger posten
▪ pdf erstellen zum Weiterleiten im Freundeskreis
> Aufwand: einmalig 2-3 Stunden, je nach Menge der Dinge und Chatgruppen 

Sharing digital öffentlich
▪ auf nebenan.de Dinge zu verschenken oder zum Verkauf anbieten
▪ Hausflohmarkt als Veranstaltung einstellen 
▪ das Gleiche auf Ebay Kleinanzeigen machen
▪ einzelne Dinge beim Verschenkportal des AWM anbieten
-> Aufwand: wiederkehrend je nach Menge der Dinge 1-3 Stunden täglich 

Sharing analog öffentlich
▪ Hausflohmarkt einrichten
▪ Schilder dazu malen
▪ Sachen auf die Straße stellen
-> Aufwand: in unserem Fall täglich zwischen 1-4 Stunden, heißt Schilder aufstellen, neu bestücken, aufräumen, schön machen, mit Besuchern sprechen, Passanten ansprechen

Möbel und Kleidung per Email anbieten
▪ Gebrauchtwarenhaus Diakonia
▪ Gebrauchtwarenhaus Weißer Rabe,
Stadtteilbürgerbüro
Bürgerbüros
Sozialbürgerhäuser
-> Aufwand: einmalig 1 Stunde, dann je nach Rückantwort 

Kleidung anbieten bzw hinbringen
Oxfam Kleidershop
Oxfam Mixshop
▪ Männerkleidung: Unterkunft Pilgersheimerstraße (ich war nicht dort, weil ich vorher bei Oxfam alles loswurde)
▪ Frauenkleidung: Unterkunft Karla (dto)
-> Aufwand: halber Tag Tour durch die Stadt mit Auto oder Lastenrad

▪ Und hier noch der super Tipp einer früheren Kollegin: „Sozialkaufhäuser, OXFAM & Co nehmen nur saisonale Kleidung an. Wir standen vor der Frage: Wohin im Sommer mit Wintermänteln, Schals & CO. Und sind fündig geworden bei der Deutschen Kleiderstiftung.“ -> Danke, Anja Schürholz 🙂

Bücher anbieten bzw. hinbringen
Oxfam Buchshop
▪ Lokale Büchereien
Bücherkiste der Stiftung Pfennigparade (leider nicht selbst prüfen/nutzen können)
-> Aufwand: halber Tag Tour durch die Stadt mit Auto oder Lastenrad

Logistik
▪ Leih-Umzugsboxen Boxie24 (man kann auch Sackkarren & Co dazubestellen)
▪ Transporter mieten CarlundCarla

Entsorger
▪ Auf MyHammer.de eine Anfrage für Haushaltsauflösung erstellen und an 10 Anbieter schicken, Angebote nur mit Besichtigung kalkulieren lassen, alles andere ist unseriös.
(Ich hatte mich für EMA entschieden, wir haben für 2 halbe Tage 1500 € gezahlt, wobei sie mit mehr Aufwand gerechnet hatten. Ich würde sie allerdings nur empfehlen, wenn man schnell viel abtransportieren lassen will, was in den Müll soll, denn trotz anfänglicher Aussagen (mit denen er mich gekriegt hatte), er würde die Sachen verschiedenen caritativen Stellen zur Weiterverwendung anbieten, hat er de facto alles zu Sperrmüll und Bauhof abtransportiert. Was mich logischerweise nicht erbaute, ich war also nur halb zufrieden, der Preis war aber ok, denke ich und er war freundlich und flexibel.)
Weißer Rabe beauftragen, sozial gut, aber teurer, ab 1500/2000 € pro Tag